Bikinifigur ade – wie Du Dich vom Schönheitsdruck im Sommer befreist
von David Klinkhammer, 06/25, Lesezeit: 6 Minuten
- Schönheitsmythos Strandfigur
- Woher kommt der Begriff Bikinifigur?
- Wie Medien die Bikinifigur zum Sommer-Muss machen
- Sozialer Vergleich und internalisiertes Bodyshaming
- Die Gegenbewegung zur Bikinifigur – Body Positivity
- Tipps: So startest Du entspannter in den Urlaub
- Dein Körper ist kein Projekt – sondern Dein Zuhause
Schönheitsmythos Strandfigur
Schluss mit Diäten für den Strand! Warum Bikinifiguren ein Schönheitsmythos sind – und wie Du Dich selbstbewusst im Sommer fühlst.
Sobald das Thermometer ansteigt und blauer Himmel sowie Sonnenschein zu leichterer Bekleidung einladen, sind die sozialen Kanäle und sogenannten Gesundheitsmagazine voll mit Themen wie „Last Minute zur Bikinifigur“. Unsere Selbstzweifel werden aktiviert, denn neben nützlichen Tipps wird uns das Schönheitsideal von Fitnessmodels präsentiert. Schnell entsteht in uns der Wunsch, selbst neidische Blicke auf uns zu ziehen. Insbesondere im Urlaub stellt sich die Frage: Bringen wir Schwimmreifen oder ein Waschbrett mit an den Strand? Kein Problem: In 7 Tagen zum Waschbrettbauch, die Last-Minute-Diät oder 10 kg weniger in zwei Wochen – so wird es häufig suggeriert.
In diesem Blog möchte ich jedoch nicht über die Realisierbarkeit eines solchen Unterfangens diskutieren – ich würde es auch nicht tun, wenn der Titel „In einem Tag mit dem Fahrrad um die Welt“ hieße. Mir geht es vielmehr um die Diskussion über ein saisonales Schönheitsideal, das, um es zu erreichen, auf ungesunde Interventionen abzielt. Oftmals ist der Wunsch nach der perfekten Bikinifigur gesellschaftlich induziert und weniger dem persönlichen Ehrgeiz geschuldet. Mit diesem Artikel möchte ich Schönheitsideale kritisch hinterfragen, gesellschaftliche Mechanismen aufdecken und zur Selbstakzeptanz ermutigen.
Woher kommt der Begriff Bikinifigur?
Wusstest Du, dass der Bikini nach dem Bikini-Atoll, einer Inselgruppe im Pazifik, benannt ist? Das klingt traumhaft, oder? Der Erfinder Louis Réard hatte bei der Namensgebung jedoch eher die dort stattfindenden Atombombentests im Jahr 1946 im Kopf als die Traumstrände. Er erwartete für seinen Zweiteiler aus Stoff eine ähnlich aufsehenerregende Wirkung wie die atomaren Explosionen. Im übertragenen Sinne gelang ihm das auch. Denn aus weiblicher Sicht ist der Bikini schließlich DAS Modeaccessoire für den Strand. Gäbe es für den Bikini eine Größe, wäre die etymologische Bedeutung des Begriffs „Bikinifigur“ leicht erklärt: die Figur, die in einen Bikini passt. Es gibt ihn jedoch in allen Formen, Farben und Größen.
Eine Definition des Begriffs ist schwierig, und das hat einen guten Grund: Es gibt sie schlichtweg nicht. Es fehlen objektiv messbare Parameter, die diesem Begriff eine eindeutige Klassifizierung geben könnten. Jeder könnte also behaupten, er oder sie hätte eine Bikinifigur bzw. Strandfigur, und es würden zumindest objektive Argumente fehlen, um dies zu widerlegen.
In Deutschland tauchte der Begriff erstmals in den 1970er Jahren auf. In Warenhauskatalogen und Männermagazinen war hier von Bikinikörpern die Rede. Die Schöpfer des Wortpaars gaben mittels Illustrationen vor, wie der Körper geschnitten sein muss, um dem Begriff gerecht zu werden. Das männliche Pendant, der „Strandkörper“, feierte in den 1990er Jahren seine Premiere – und diese Wortschöpfung ist noch ein Stück weit absurder. Als gäbe es Vorgaben, welche Körperformen am Strand geeignet sind.
Wer bestimmt, wie eine Sommerfigur auszusehen hat?
Rational gesehen gibt es also kein Gesetz, das uns aufgrund unserer Körpermaße das Tragen eines Bikinis oder das Betreten eines Strands rechtlich einschränkt. Es handelt sich also um ein emotionales Thema.
Es ist eine rein subjektive Bewertung. Der Begriff wurde weniger von Akteuren geprägt, deren Motivation das Wohl der Menschen war, sondern von solchen, die eine instrumentelle Absicht verfolgten: den Verkauf von Diätprodukten, Magazinen, Büchern und/oder Workout-Programmen.
Wie Medien die Bikinifigur zum Sommer-Muss machen
Wir werden medial Dauerbeschallungen ausgesetzt: Zeitschriften, Fitnessratgeber oder Social Media. So sicher wie die Jahreszeiten kommen, wird pünktlich zur Frühsommerzeit die Idee in unseren Köpfen gepflanzt, noch „etwas tun zu müssen“. Die Social-Media-Plattformen dienen hierbei als Verstärker. Es werden verstärkt schlanke, normschöne Menschen mit einer großen Reichweite gezeigt (Tylka & Wood-Barcalow, 2015b; Cohen et al., 2019). Das erhöht den Vergleichsdruck. Und damit nicht genug: Sie sprechen das Thema auch noch offen an. Das Resultat: Die Bikinifigur oder der Strandkörper werden zu einer unsichtbaren Benchmark, an der sich jeder misst.
Die Rolle der Diät- und Fitnessindustrie
„Würden die Menschen sich auf einmal mit ihren Körpern wohlfühlen, dann hieße das für viele Branchen Einnahmeverluste oder sogar Bankrott“ (Rothblum, 2017).
Den Fitness-Influencern ist weniger an der Gesundheit ihrer Follower gelegen, auch wenn dies in jedem Beitrag, jeder Story und jedem Reel propagiert wird. Es handelt sich um Angestellte einer milliardenschweren Industrie, die viel Geld in diese Art von Marketing und somit in die Influencer investieren. Ihre Präsenz in den sozialen Medien und die dort investierte Zeit dienen also einem instrumentellen Zweck. Die verkaufsfördernde Botschaft lautet: Selbstakzeptanz durch Optimierung. Diese lässt sich konkret, saisonal und visuell exzellent vermarkten – und das mit beachtlichem Erfolg. Laut einer Umfrage der Pronova BKK (2024) geben 50 % der Deutschen an, vor dem Urlaub aktiv an ihrem Erscheinungsbild zu arbeiten – bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 71 %.
Sozialer Vergleich und internalisiertes Bodyshaming
Wir Menschen interagieren mit unserem sozialen Umfeld. Wir orientieren uns an Gruppen und übernehmen deren Werte und Normen (Festinger, 1954 (soziale Vergleichstheorie); Moreno-Domínguez et al., 2018). Durch das Streben nach einer sportlichen Figur und die Etablierung dieser als Norm werden automatisch diejenigen ausgeschlossen, die dieser Norm nicht entsprechen. Spott, Hohn, abwertende Blicke oder sogar Mobbing sind die Folge. Der von außen kommende Druck führt dazu, dass wir die falschen Ideale in unser Selbstbild integrieren und selbst Kritik an uns üben (Tylka, 2018; Tiggemann & Slater, 2015). So verzichten etwa ein Drittel aller Frauen auf den Strandurlaub, da sie der Meinung sind, der Norm nicht zu entsprechen (Pronova BKK, 2024).
Mangelnde Repräsentation von Körpervielfalt
Durch die jahrzehntelange mediale Beschallung mit Bildern schlanker, durchtrainierter Körper in Werbung und Co. wird eine Norm gesetzt, von der alles andere abweicht. Erst in den letzten Jahren versuchen verschiedene Kampagnen, wie „Body Positivity“, dagegenzusteuern (Ahout, 2022; Cwynar-Horta, 2016). Tatsächlich belegen dies Zahlen. So finden 32 % der Gesamtbevölkerung und sogar 43 % der Unter-30-Jährigen, dass dickere Menschen sich nicht in Badekleidung zeigen sollten.
Psychologischer Mechanismus: Kontrolle über das Selbstbild
Leider gibt es in dieser Welt viele Variablen, auf die wir keinen Einfluss haben. Dazu gehören Klimakrisen, Kriege und finanzielle Ungewissheiten. Der eigene Körper scheint dagegen ein kontrollierbares Projekt zu sein (Wood-Barcalow et al., 2010). Dadurch wird die Bikinifigur zum Ersatzschauplatz für Selbstwirksamkeit. Zumindest hier hat man das Gefühl, etwas optimieren zu können.
Die psychologischen Folgen des Figurendrucks
Als Bodyshaming bezeichnet man die Herabwürdigung oder Beschämung aufgrund von Abweichungen in der Körperlichkeit. Dabei spielen neben dem Gewicht auch Größe, Behinderung, Hautfarbe, Alter und Geschlechtsmerkmale eine Rolle. Dabei wird Körperlichkeit zum Symbolträger unserer sozialen Position (Apraku et al., 2018).
Die ständige Konfrontation damit, nicht auszureichen und einem Ideal nicht zu entsprechen, führt zu einer erheblichen psychischen Belastung. Mögliche Folgen sind Depressionen, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten und ein geringes Selbstwertgefühl (Birk & Mirbek, 2021). Im sozialen Kontext erleben Betroffene Ausschluss und Stigmatisierung. Sie ziehen sich aus gesellschaftlichen Aktivitäten wie einem Strandbesuch zurück. Der Wunsch, diesem negativen Strudel zu entfliehen, ist groß, weshalb ein Drang zur Selbstoptimierung vorherrscht. Diäten, die ständige Kontrolle durch Tracking-Apps sowie kosmetische Eingriffe und Schönheitsoperationen sind die Konsequenzen.
Die Gegenbewegung zur Bikinifigur – Body Positivity
Wie so oft ist es ein vom Kapitalismus geschaffenes Problem, das auf unsere Kosten geht – psychisch wie körperlich. Es ist gut zu sehen, dass einige Bewegungen dies nicht einfach hinnehmen wollen und Körpervielfalt als schön und erstrebenswert ansehen, um zu zeigen, dass jeder Mensch einzigartig ist und keinem Ideal entsprechen muss. Die Body-Positive-Bewegung hat ihre Ursprünge in einer Bürgerrechtsbewegung und war später auch als Fat-Acceptance-Bewegung bekannt, die in den 1960er Jahren entstand (Ahout, 2022; Cwynar-Horta, 2016). Makel wie Cellulite, Narben oder Falten werden nicht nur akzeptiert, sondern aktiv wertgeschätzt. Die Bewegung macht sich auch in den sozialen Medien bemerkbar, was zum einen als kraftvolles Gegennarrativ wirkt und zum anderen kommerzialisiert als neuer Schönheitsdruck. Das Problem ist, dass die Bewegung anfällig für weiße Normativität und Selbstoptimierung statt echter Vielfalt bleibt (Kasana, 2014; Tiggemann & Zaccardo, 2018). Das macht sich dadurch bemerkbar, dass zunehmend weiße und schlanke Influencer:innen zu den Gesichtern der Bewegung werden. Marginalisierte Körper – etwa mit Behinderung, einer anderen Hautfarbe oder größerer Körperfülle –, die eigentlich für diese Bewegung stehen, geraten dadurch in den Hintergrund.
Tipps: So startest Du entspannter in den Urlaub
Urlaub soll der Erholung dienen. Wochenlange Restriktionen führen dazu, dass der Entspannungsfaktor zu Beginn des Urlaubs so gut wie gar nicht vorhanden ist. Erst recht nicht, da die unrealistischen Versprechen der Diätindustrie nicht umgesetzt werden können und im Urlaub? Verzicht, um dem Tempel keine Risse zu verleihen und wofür? Niemand hat mich je am Strand bezüglich meines Körpers angesprochen. Weder positiv noch negativ.
Es wäre auch empfehlenswert, sich im Vorfeld nicht von den sozialen Medien berieseln zu lassen oder den Bikinibody-Algorithmus in den sozialen Medien zu durchbrechen. Hashtags mit Bodypositivity, Bodyneutrality und Bodydiversity zeichnen ein alternatives Bild.
Letztendlich gilt: Ernährung und Bewegung sollten in erster Linie der physischen und psychischen Gesundheit dienen und nicht dem Streben nach fragwürdigen Idealen. Extreme Maßnahmen gehören nicht dazu, da sie selten nachhaltig wirken und oft sogar schädlich sind – sowohl körperlich als auch seelisch.
Dein Körper ist kein Projekt – sondern Dein Zuhause
Der Wunsch nach einer „perfekten Bikinifigur“ ist selten ein Zeichen von persönlichem Ehrgeiz, sondern meist Ausdruck gesellschaftlicher Erwartungen und medialer Dauerberieselung. Was als gesund verkauft wird, führt oft zu Stress, Selbstzweifeln und einer ungesunden Beziehung zum eigenen Körper (Simpson & Mazzeo, 2017; Boepple et al., 2016). Echte Erholung ist jedoch nur möglich, wenn wir uns selbst annehmen – jenseits von Normen, Idealen und Filtern.
Es ist an der Zeit, Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen, Diversität zu feiern und dem eigenen Körper mit mehr Freundlichkeit zu begegnen. Nicht der Körper muss sich dem Urlaub anpassen, sondern der Urlaub darf sich dem Menschen so anpassen, wie er ist (Tylka, 2018).
Über David Klinkhammer:
David Klinkhammer ist mit seinem Hintergrund als Sportwissenschaftler (B.A.), Fitness- und Athletiktrainer sowie Ernährungsberater, Tutor & Dozent an der Deutschen Sportakademie. Hier betreut & begeistert er die Studenten zu Themen wie Trainingsplanung- und Steuerung, Fitnesstraining in der Praxis, zielgruppenspezifische Trainingsplanung im Cardiotraining und Motivationstraining im Personal Training.
Als leidenschaftlicher Sportler und selbstständiger Fitnesstrainer bietet er Bootcamps und Athletiktrainings in Köln an. Abschalten kann er am besten beim Kochen, bei dem er seine kulinarische Inspiration überwiegend von den vielen Reisen durch Europa und Asien hernimmt.
Literatur:
- Ahout, M. (2022). All Bodies Are Bikini Bodies: The effect of body positivity content on middle-aged women’s body image. Masterarbeit, Universität Amsterdam. https://doi.org/10.1016/j.bodyim.2018.07.002 Rechteck 2, Form
- Apraku, J., Bönkost, J., Lücke, M., & Marzinka, B. (2018). Bildung zur Akzeptanz von Vielfalt (Diversität). Ludwigsfelde: LISUM.
- Birk, F. F., & Mirbek, S. (2021). Bodyshaming, Bodypositivity, Bodyneutrality und Bodydiversity – Körperlichkeit als zentrale (Anti-)Diskriminierungsthematik. Körper – Tanz – Bewegung, 9, 142–150.
- Cohen, R., Fardouly, J., Newton-John, T., & Slater, A. (2019). #BoPo on Instagram: An experimental investigation of the effects of viewing body positive content on young women's mood and body image. New Media & Society, 21(7), 1546–1564.
- Cwynar-Horta, J. (2016). The commodification of the body positive movement on Instagram. Stream: Inspiring Critical Thought, 8(2), 36–56.
- Pronova BKK. (2024). Urlaubsreport 2024 – Schönheitsideale im Sommer. https://www.pronovabkk.de/media/pdf-downloads/unternehmen/studien/pronova-bkk-umfrage-urlaub2024-schoenheitsideale.pdf
- Rothblum, E. D. (2017). Fat Studies. In L. Rose & F. Schorb (Hrsg.), Fat Studies in Deutschland (S. 16–30). Weinheim: Beltz Juventa.
- Tiggemann, M., & Slater, A. (2015). The impact of fitspiration images on body image and mood. Body Image, 15, 61–67.
- Tiggemann, M., & Zaccardo, M. (2018). “Strong is the new skinny”: A content analysis of #fitspiration images on Instagram. Journal of Health Psychology, 23(8), 1003–1011.
- Tylka, T. L., & Wood-Barcalow, N. L. (2015b). What is and what is not positive body image? Body Image, 14, 118–129.
- Tylka, T. L. (2018). Positive body image: Strengths-based research and proactive practice. In L. Smolak & T. Wade (Hrsg.), Body Image, Eating Disorders, and Obesity in Youth (3. Aufl., S. 246–251). Washington, DC: American Psychological Association.