Achtsamkeit im Stillstand

Wie Du Zeiten der Entschleunigung als Chance für Dich nutzen kannst

von Caroline de Jong, 05/20, Lesezeit: 4 Minuten

Die aktuelle Situation bremst das Leben vieler Menschen aus; es ist ruhiger und das öffentliche Leben stiller geworden. Auch wenn die Ursache hierfür traurig ist, birgt auch diese Situation – wie jede – eine Chance. Welche positiven Möglichkeiten haben sich für Dich ergeben? Vielleicht konntest Du trotz des neuen, ungewohnten Lebensrhythmus die gewonnene Zeit und „Langeweile“ für Dich nutzen? Vielleicht hast Du Dich inzwischen an die Entschleunigung und Ruhe gewöhnt, sie lieben gelernt und möchtest sie auch in Zukunft in Deinem Leben wissen? Vielleicht lassen sich für Dich aber auch keine Vorteile erkennen, sondern die aktuelle Situation beschert Dir schlichtweg Leid. Vielleicht hast Du einen lieben Menschen verloren oder Corona ist Dein wirtschaftlicher Ruin, der Dich natürlich sorgt? Egal, auf welcher Seite Du Dich befindest, Achtsamkeit kann Dir helfen, mit der aktuellen Situation besser klarzukommen. Achtsamkeit kann ein wunderbarer Weg sein, um liebgewonnene Ruhe zu bewahren oder um in sorgenhaften Zeiten innerlich zur Ruhe zu finden und sich selbst zu beruhigen.

Es ist wissenschaftlich belegt, dass Achtsamkeit Stress reduziert und bei Sorgen und schwierigen Gefühlen helfen kann. Achtsamkeit hat positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit und kann so die Lebensqualität erhöhen. Auch macht sich Achtsamkeit in einer positiven Stimmung bemerkbar und wirkt als Depressionsprophylaxe.

Doch was versteht man unter Achtsamkeit?

Der Begriff „Achtsamkeit“ taucht immer häufiger auf. Nicht immer wird dabei das Gleiche verstanden, das auch die Wissenschaft darunter versteht. Im Volksmund wird der Begriff Achtsamkeit oft als Synonym für Aufmerksamkeit, Rücksichtnahme, Ordnung und Ruhe verwendet. Im wissenschaftlichen Kontext wird der Begriff jedoch im Sinn des englischen Begriffs „mindfulness“ verstanden, bei dem es darum geht, seine Aufmerksamkeit ins „Hier und Jetzt“ zu richten und den gegenwärtigen Moment verweilen zu lassen. Viele Studien beziehen sich bei Achtsamkeit auf die Effekten eines Mindfulness Based Stress Reduction Programms. Ein solcher 8-wöchige Kurs von Joan Kabat-Zinn besteht aus klassischen Achtsamkeitsübungen, die die Aufmerksamkeit auf den Moment im Augenblick richten. Dabei entsteht eine Geisteshaltung, die man „mindful“ = „achtsam“ nennt. Sie ist gekennzeichnet von Gleichmut, innerer Sammlung und Gegenwärtigkeit.

Im „Hier und Jetzt“ leben

Diesen Zustand der Gegenwärtigkeit und des „da seins“, kennen wir durchaus auch ohne bewusstes Üben von Achtsamkeit. So hat der ein oder andere einen solchen Moment wahrscheinlich schon im Urlaub erlebt, beim entspannt aufs Meer Schauen oder beim ruhigen Laufen durch die Natur, wenn es still und friedlich in einem wurde. Auch beim Sport wird ein solcher Moment oft unbewusst erlebt. So bspw. beim längeren Joggen, wenn irgendwann die Gedanken ruhiger werden und man einfach nur noch seine eigene Bewegung wahrnimmt. Dieses präsent sein im „Hier und Jetzt“ ist an sich ein natürlicher Zustand, der für uns im heutigen, sehr schnelllebigen Zeitalter der Digitalisierung, immer weniger zugänglich ist. WhatsApp oder E-Mails reißen uns gedanklich fort - beruflich und privat wird permanente Verfügbarkeit erwartet.

Viele von uns sind immer auf Trab. Innere To Do-Listen werden durchgegangen, die Woche geplant und organisiert, aufs Handy reagiert, über vergangenes gegrübelt. Dieser Zustand ist für viele der tatsächlich erlebte Normal-Zustand. Wir sind selten in der Gegenwart - gedanklich eher in der Zukunft und Vergangenheit. Auch wenn Planen (Zukunft), Reflektieren (Vergangenheit) und Bewerten durchaus sinnvoll und nützlich sind, so kann es zum Nachteil werden, indem es Überhand annimmt. Wir fühlen uns getrieben, den Dingen hinterherrennend, wie in einem Hamsterrad, immer schneller, um möglichst bald anzukommen, in einem zukünftigen Moment des Glücks und der Ruhe.

Achtsamkeitsübungen als Hilfe

Mit Achtsamkeitsübungen kann es uns gelingen, aus dem Hamsterrad auszusteigen, die Aufmerksamkeit auf die Gegenwärtigkeit zu lenken und innezuhalten. Sich selbst zu erlauben, nicht nur zu funktionieren und weiterzukommen, sondern einfach nur zu sein. Glück, Ruhe und das Gefühl von angekommen sein kann nur im JETZT erlebt werden. Auch die Zukunft liegt im jetzt, wenn sie da ist.

Mit Achtsamkeit starten

Bereits jetzt kannst Du mit Achtsamkeit beginnen. Spüre, wie Du jetzt in diesem Moment dasitzt und diesen Artikel liest. Wo spürst Du Berührungen in Deinem Körper mit Stuhl, Bett, Tisch… Wie ist Dein momentaner Atem? Kannst Du ihn spüren, hören… schließe gerne Deine Augen und höre und spüre Deine Atemzüge bewusst.

So einfach funktioniert Achtsamkeit. Im Wesentlichen geht es nur darum, was jetzt gerade ist. Hierfür lenkt man die Aufmerksamkeit auf das „Hier und Jetzt“ - bspw. durch Fokussierung des Atems, durch die Wahrnehmung von Körperempfindungen oder das Lauschen der eigenen Gedanken, ohne dabei einzugreifen. Genauso kann die Aufmerksamkeit auch auf Sinneseindrücke gerichtet werden. Welche Geräusche nimmst Du wahr? Was siehst Du draußen?

Vielleicht verfällst Du dabei in die Bewertung der wahrgenommenen Dinge. Es ist ganz normal, Gedanken zu haben. Ziel ist es, die Aufmerksam wieder zurück vom Bewerten zur Wahrnehmung zu lenken. Mit der Zeit gewinnst Du so auch von quälenden Gedanken, die oft mit einem unangenehmen Gefühl einhergehen, Abstand.

Achtsamkeit ist simpel, aber nicht einfach

Achtsamkeit hat viel Potential. Um es gänzlich zu erleben, braucht es viel praktische Übung. Dabei lohnen sich anfänglich auch schon kleinere Einheiten. Dabei sollte man nicht in schwierigen Momenten damit beginnen, sondern erst einmal bei guten Bedingungen in positiven Momenten anfangen. So kannst Du eine Basis aufbauen, die Dir in schwierigen Momenten bereits helfen kann.

Die aktuell entschleunigte Situation könnte für Dich der ideale Einstieg in das Praktizieren von Achtsamkeit sein. Durch den insgesamt langsameren Lebensrhythmus bist Du bereits runtergefahren und kannst diese Ruhe mit in das „normale“ Leben nehmen.

Dozentin Deutsche Sportakademie

Über Caroline de Jong:
Caroline de Jong arbeitet mit ihrem Hintergrund als Psychologin (MSc.), Körper-Psychotherapeutin, Achtsamkeits- und Yogalehrerin als Dozentin an der Deutschen Sportakademie. Dort hat sie die Ausbildung zum Achtsamkeitstrainer mit konzipiert. Seit über 15 Jahren beschäftigt sie sich mit Achtsamkeit, Bewusstseinsentwicklung und Ganzwerdung und freut sich über jeden, der sich für diese Themen begeistert. In ihrer Freizeit tanzt und musiziert sie gerne und liebt es, die Räume hinter Bewegungen und Klängen zu erforschen, sowie sich einfach im Moment zu verlieren.

Für mehr Inspiration hör auch in unseren Podcast Bizeps & Bananenbrot rein. Dort macht Caroline eine erste Achtsamkeits-Übung mit uns.

Zur Begleitung unserer Online-Reihe „21 Tage Achtsamkeit“ findest Du hier ein Achtsamkeits-Tagebuch zum Download.

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