Achtsamkeit im Hier & Jetzt

Achtsamkeitsbasierte Verfahren im Fitnesstraining

Franziska Manicke, 05/20, Lesezeit: 5 Minuten

Franziska Manicke erklärt, wie Trainer das Achtsamkeitsprinzip in ihr Angebot integrieren, es authentisch vermitteln und für ihre Kunden nutzbar machen können. Auch der achtsame Umgang von Coachs mit ihren Klienten ist Thema des Artikels.

Mit WhatsApp, Instagram, Facebook, Netflix und Co. gehört eine ständige Reizüberflutung mittlerweile zu unserem Alltag. Tagtäglich strömt eine Flut von Informationen auf uns ein. Dazu kommt der steigende Druck, permanent verfügbar sein zu müssen. Um damit fertig zu werden und stressbedingten Erkrankungen vorzubeugen, wird bei vielen Menschen der Wunsch nach Ausgleich, innerer Ruhe und Entspannung immer präsenter. Achtsamkeitsbasierte Verfahren im Fitnesstraining sind in Zeiten zunehmender Digitalisierung gefragter denn je.

Durch Achtsamkeit den Moment wahrnehmen

Unter Achtsamkeit wird die Fähigkeit verstanden, seine Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken, ohne die aufkommenden Gedanken oder Gefühle zu bewerten. Seinen Weg in die westliche Welt fand das aus dem Buddhismus stammende Achtsamkeitsprinzip durch den Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn. Unter dem Namen „Mindfulness-based stress reduction“ (MBSR) entwickelte er ein achtsamkeitsbasiertes Behandlungsprogramm gegen Stress und chronische Schmerzen.

Eine achtsame Haltung soll helfen, Stress zu reduzieren und die Gesundheit zu fördern. Auch in der Fitnesswelt, in der Training und Gesundheit mithilfe von Apps und Smartwatches zunehmend digital verwaltet werden, bietet Achtsamkeit die Möglichkeit, zu einem echten und bewussten Erleben seines eigenen Körpers zurückzukehren. Durch Achtsamkeit im Training sollen die notwendige Erholung, die Stressbewältigung, die Förderung der physischen und mentalen Gesundheit sowie eine Leistungssteigerung im Sport herbeigeführt werden.

Achtsamkeitsbasierte Verfahren im Sport

Doch wie können Trainer das Achtsamkeitsprinzip in ihr Angebot integrieren und für Kunden nutzbar machen? Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Forschung zu achtsamkeitsbasierten Verfahren im Sport noch recht jung ist und daher ein sorgsamer Umgang mit dem Thema geboten ist. Das derzeitig boomende Angebot an Achtsamkeit beinhaltenden Übungsformen und Kursformaten wirft die Frage auf, ob hier tatsächlich von achtsamkeitsbasierten Methoden die Rede sein kann oder ob nur der Hype werbewirksam genutzt wird. Tatsächlich gehören Yoga, Tai-Chi und Qigong zwar zu den bewegungsbasierten Achtsamkeitsverfahren, doch praktiziert nicht automatisch jeder, der zum Yogakurs geht, gleichzeitig auch Achtsamkeit.

Anforderungen an Trainer

Da es sich bei Achtsamkeit nicht um eine Auswahl von Techniken und Übungen handelt, täuscht der Eindruck, dass deren Vermittlung relativ einfach erscheint. Entscheidend sind die besondere innere Haltung und die Lenkung der Aufmerksamkeit auf die aktuelle Wahrnehmung sowie die bewusste Auseinandersetzung mit Denk-, Handlungs- und Bewertungsmustern. Nur so können die oben genannten positiven Effekte von Achtsamkeit im Sport erzielt werden. Für einen Trainer, der Achtsamkeitsmethoden in sein Angebot integrieren möchte, bedeutet dies, dass er bereits über eigene Erfahrungen in diesem Bereich verfügen sollte und im besten Fall eine entsprechende Ausbildung zum Achtsamkeitstrainer absolviert hat.

Je mehr Erfahrung ein Trainer selbst mit Achtsamkeitsmethoden hat, je mehr er selbst experimentiert und versucht, Achtsamkeitsübungen in das eigene Training zu integrieren, umso besser und authentischer kann er die Prinzipien vermitteln und auch während des Coachings achtsam im Umgang mit seinen Kunden sein. Phil Jackson, einer der erfolgreichsten NBA-Basketballtrainer aller Zeiten, verfolgte einen ganzheitlichen Trainingsansatz, in den er Prinzipien der Achtsamkeit integrierte, wie er in seinem Buch „Eleven Rings: The Soul of Success“ beschreibt. Er war der Ansicht, dass die Spieler seine Anweisungen umso besser verinnerlichen und davon profitieren konnten, je mehr er selbst mit dem Herzen dabei war. Um den Fokus besser auf ein anstehendes Spiel lenken zu können, wendete er bei seinem Team Meditationsübungen und Atemtechniken an. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, wie Trainer achtsamkeitsbasierte Methoden in das Fitnesstraining integrieren können:

Achtsamkeitskurse durchführen

Der große Vorteil eines eigenständigen Achtsamkeitskurses liegt darin, dass eine intensivere und nachhaltigere Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet. Demgegenüber steht die Notwendigkeit, zusätzliche Ressourcen für die Umsetzung zu schaffen – angefangen bei geeigneten Räumlichkeiten über die Bereitstellung von  Übungsmaterialien bis hin zur schon beschriebenen fachlichen Qualifikation des Kursleiters. Achtsamkeitsprogramme umfassen in der Regel sechs bis acht Termine mit relativ langen Einheiten von zwei bis drei Stunden. Eines der bekanntesten, bereits bestehenden Achtsamkeitsprogramme für Sportler ist das „Mindful Sports Performance  Enhancement“ (MSPE), das im Rahmen von sechs Einheiten folgende Schwerpunkte in Theorie und Praxis vermittelt:

Es ist sinnvoll, die einzelnen Einheiten nach einem einheitlichen Schema aufzubauen, um die Teilnehmer durch wiederkehrende Rituale und Abläufe abzuholen und einen vertrauten Rahmen für eine erfolgreiche Achtsamkeitspraxis zu schaffen. Hierzu bietet es sich an, jede Einheit mit einer Einführungsübung zu beginnen und mit der gleichen Übung abzuschließen. Nach der Einführungsübung, z.B. einer Atemmeditation, erfolgt eine kurze Wiederholung der letzten Einheit mit Austausch über Schwierigkeiten und Erfahrungen hinsichtlich der Achtsamkeitspraxis zu Hause. Anschließend erfolgt die Überleitung auf das Hauptthema der aktuellen Sitzung, das durch einen Mix aus  Theorie und praktischen Achtsamkeitsübungen vermittelt wird.

Integration achtsamkeitsbasierter Elemente

Die zweite Möglichkeit, die Integration achtsamkeitsbasierter Elemente in das reguläre Training der Kunden oder in bestehende Kurse, ist sicherlich einfacher bzw. mit weniger Aufwand verbunden. Damit die gewünschten Effekte gewährleistet werden können, sollte der Trainer seinen Kunden vor allem während der ersten Achtsamkeitsübungen deutlich machen, was Achtsamkeit eigentlich ist und inwiefern sie im Rahmen der Übungen umgesetzt wird. Zur Erinnerung: Ziel ist es, den Moment bewusst wahrzunehmen und die erfahrenen Sinneseindrücke, Gefühle und Gedanken zu akzeptieren, ohne sie zu bewerten oder verändern zu wollen. Nachfolgend werden einige  achtsamkeitsbasierte Methoden vorgestellt, die sich als Ergänzung zum eigentlichen Fitnesstraining eignen.

Atemmeditation:

Die gegenwärtige Aufmerksamkeit wird schrittweise auf den Atem gelenkt und dort zentriert. Diese Verankerung im Atem dient als Ausgangsbasis für jegliche weiterführende Übung und soll vor anstehenden Herausforderungen die Aufmerksamkeit und den Fokus verbessern. Dabei ist es völlig normal, dass die Aufmerksamkeit oder die Gedanken immer mal wieder abschweifen können. Wichtig ist nur, dies wahrzunehmen und den Fokus immer wieder zum Atem zurückzulenken. Die Übung dauert drei bis vier Minuten und kann im Sitzen, Liegen, Stehen oder während einfacher Körperübungen durchgeführt werden. Sie hilft beim Ankommen und Fokussieren zu Beginn eines Trainings oder dient als Ausklang danach, um den Körper in die Regenerationsphase zu bringen. Im Internet finden sich zahlreiche Übungstexte, die vom Trainer angeleitet oder als Audiodatei zur Verfügung gestellt werden können.

Bodyscan:

Der Bodyscan eignet sich besonders für Sportler, da die Aufmerksamkeit auf die körperliche Ebene gelenkt wird. Das Körpergefühl, die Bewegungseffizienz und die Leistungserbringung sollen damit verbessert werden. Außerdem wird das subjektive Stressempfinden reduziert und so Entspannung und Regeneration gefördert. Auch hier gibt es zahlreiche Anleitungen als Audiodateien zum Download, z.B. kostenfrei bei einigen Krankenkassen. Im Optimalfall sollte der Trainer die Anleitung selbst vornehmen. Die Übung wird meist im Liegen durchgeführt, ist aber auch im Sitzen oder Stehen möglich. Die Aufmerksamkeit wird nacheinander auf einzelne Körperstellen gerichtet, die je nach Zielsetzung und zur Verfügung stehender Zeit (1–10 Minuten) variieren können.

Achtsame Körperübungen:

Hier können ausgewählte Elemente aus dem Yoga, Tai-Chi oder Qigong zum Einsatz kommen. Dabei ist es wichtig, dass die Übungen nicht zu komplex sind und langsam ausgeführt werden, damit sie leicht mit der Aufmerksamkeit verfolgt werden können. Es lassen sich Übungsreihen zusammenstellen, bei denen die Verbesserung von Bewegungsbewusstsein und -ausführung im Vordergrund steht.

Gehmeditation:

Achtsames Gehen ist eine der ältesten Meditationsformen aus dem frühen Buddhismus und für einige Menschen leichter zugänglich als die Meditation im Sitzen. Der meditative Charakter ist je nach Umgebung und Gehgeschwindigkeit mehr oder weniger vordergründig. Es kann mit verschiedenen Geschwindigkeiten bis hin zum achtsamen Laufen beliebig experimentiert werden. Eine Gehmeditation kann zu Beginn des Trainings im Rahmen des Aufwärmens, als Cooldown oder während Pausen verwendet werden.

Mögliche Kontraindikationen

Werden diese Methoden regelmäßig praktiziert, können die mit einer gestärkten Achtsamkeit einhergehenden positiven Effekte erzielt und das Training optimiert werden. Abschließend sei darauf hingewiesen, eventuelle Kontraindikationen abzuklären, bevor achtsamkeitsbasierte Methoden zur Anwendung kommen. Zu den Kontraindikationen insbesondere von Methoden, die Meditation beinhalten, zählen Borderline-Störungen, akute Depressionen, akuter Drogen-, Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch sowie Suizidgefährdung. Bei psychotherapeutischer Behandlung sollte die Zustimmung des Therapeuten eingeholt werden.

 

Hier findest Du mehr Informationen zur Ausbildung zum Achtsamkeitstrainer!

Dozentin Deutsche Sportakademie


Über Franziska Manicke:
Mit ihrem Hintergrund als Diplom Sportwissenschaftlerin und langjähriger Tätigkeit in der Trainingstherapie, arbeitet Franziska Manicke als Studientutorin bei der Deutschen Sportakademie. Sie beschäftigt sich insbesondere mit neuen wissenschaftlichen Ansätzen zur Leistungssteigerung und Rehabilitation nach Sportverletzungen.
Ihren privaten Flow erlebt sie am liebsten bei jeglicher sportlichen Aktivität in den Bergen.


Presse Zusatzmaterial: PDF-Dokument

© TRAINER Magazin | Ausgabe Nr. 2/2020

www.trainer-magazine.com

Hör auch in unsere Podcast-Folge über Achtsamkeit im Sport mit Florian Meyer rein:

Zur Begleitung unserer Online-Reihe „21 Tage Achtsamkeit“ findest Du hier ein Achtsamkeits-Tagebuch zum Download.

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